SoVa-(Sozialistische Verlagsauslieferung)-Chef Helmut Richter aus Frankfurt hob einen Fotoband über den spanischen Bürgerkrieg empor und klagte über "die Abwesenheit des intellektuellen Streites" dieses und der meisten anderen "durchaus politischen" Bücher. Im Vergleich dazu waren die "postfaschistischen Schriften der späten 60er und 70er Jahre", wie sie Rainer Nitsche (Transit Verlag Bln.) beschrieb, voll davon. Damals mußte ein Vakuum an Wissensvermittlung sogenannter linker Themenkreise von ebensolchen Verlagen und Buchhandlungen ausgefüllt werden. Statt Marketing Flüsterpropaganda, anstelle von Geschäftsinteresse Engagement gegen die verstockt reaktionäre Bourgoisie. Jedermensch war solidarisch, war engagiert, mischte sich ein und bediskutierte den anderen bis zum Erbrechen. Aber schön war er, der intellektuelle Streit, wenn auch, na ja, Gott sei Dank, nicht so erfolgreich, denn wäre es tatsächlich zur harmonischen Einheitsdiskussion gekommen, wo wären wir dann jetzt?
So ward eben jedermensch beflügelt, noch linker und engagierter zu sein, und aus ehedem zwei wurden hundert solcher Verlage.
Und heute?
Exverleger und Nurnochbuchhändler Volker Hasenclever stöhnte, daß er wegen der Verschiebung zum Neokonservatismus antihumanistische, fundamentalistische und politische Unkultur à la Heidegger und Gehlen wie warme Semmeln verkaufen muß und auf den linksalternativen Sortimenten sitzenbleibe.
Naja, so schlimm sei es nun auch wieder nicht, aber der Verkauf politischer Bücher inklusive Friedensbewegung, Ökologie und Feminismus sei jedenfalls rückläufig - zumindest beim engagierten Buchhandel.
Die cleveren Großkaufhäuser mit ihren vielseitig bestückten Buchregalen verkaufen solche Ware besser bis sehr gut. Woran das nur läge?
Und wie war es möglich, daß sich ein "an den politischen Abgründen bewegender" Walraff (GANZ UNTEN) 2.5 Mio mal, ein Vorläufer zu dem Thema Gastarbeiter in Deutschland so gut wie kaum verkaufen ließ?
Alt-Groß-Klein-Verleger Klaus Wagenbach sammelte auf sein 'Politik put, Literatur put, weil bürgerlich'-Gegackere hin aber auch konstruktive Anmerkungen. Es gäbe vereinzelt Initiativen, sich auszutauschen z.B. gemeinsam Foto-und Bildarchive zu nutzen. Auch sei die Pluralität der Meinungen in ihren positiven Auswirkungen nicht zu unterschätzen, allerdings bedürfe es der intensivierten Kontaktnahme zwischen Verlag und Buchhhandel, und letzterer müßte seinen Hausaufgaben nachkommen und mindestens 10-20 Bücher in der Woche anlesen. Darüber konnte Angelika Hofferberth (Ringelnatzbuchhandlung Bln.), einzige Frau und Nur-Buchhändlerin dieser Runde, angesichts der Belastungen einer Buchhändlerin nur herzlich lachen, und versuchte daraufhin wenig erfolgreich das Publikum in die Diskussion miteinzubeziehen, denn die obengenannten Herren Verleger wußten es eigentlich doch besser und vor allem Wagenbach gefiel sich in APO-Opa-Plattitüden, die durch den ausdauernden Gebrauch solcher Begriffe wie Bourgoisie und Solidarität wirklich neue Gesichtspunkte kaum zur Geltung kommen ließen. So zum Beispiel auch den Einwand Dirk Nishens, dessen Fotoband es pikanterweise war, dem die intellektuelle Streitfähigkeit abgesprochen würde, auch wenn es immerhin noch zugegebenermaßen ein politisches Buch sei. Fotobände dieser Art dienen aber nach Nishen weniger der Befriedigung eines Voyeurismus, als dem ruhigen Aufnehmen von Bildern - im Gegensatz zum TV - die einen Einstieg in die jeweiligen Themenkreise ermöglichen. Die Podiumsdiskussion endete mit jenem befriedigtem offenen Ende, daß jeden bei seiner alten Meinung ließ, aber mensch hatte wenigstens "miteinander kontaktiert" ...
Wenn auch nicht 2.5 Mio, so gibt es doch immerhin Menschen in 50000er Auflage, die nicht so beschränkt, will sagen, vom Analphabetismus umnachtet sind, wie der unengagierte Rest, der sich wegen seiner Masse oder gar mutwillig-eigener Überlegung nicht bei den Auserwählten wiederfindet. Dieser Rest läßt sich halt immer noch nicht ins Hirn greifen, selbst wenn's für eine gute Sache wäre, und bezahlt mit dem, was alle regiert, nur für eine ihn ansprechende Leistung. Dieser Rest geht dann durch die Kaufhäuser und findet manches preisgünstig, was er sich bei manchem linken Buchladen auch alleine und ohne freundliche Betreuung suchen müßte.
Den eigentlich saturierten Ex-Studenten geht es letztlich auch (nur noch?) ums Geld, sie wollen es aber mit dem Feigenblatt des Engagements verdienen. Die Ehre und das Engagement eines Geschäftsmenschen liegt aber bestenfalls in der Qualität seiner Ware, und die muß er nunmal dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterwerfen. Klein in Stückzahl oder Ladenfläche muß dabei kein Nachteil sein, wenn genügend Phantasie und 'know-how' vorhanden sind. Für geheimbündlerische Sprachschöpfungen, schlechtbedrucktes Papier und auseinanderfallende Bücher können sich BuchhhändIer nicht ausschließlich engagieren, wollen sie überleben so wie der Leser arrogante Inkompetenz nicht weiterempfehlen kann.
Ansonsten gilt: Konkurrenz belebt das Geschäft und erweitert unsere Auswahl. Daß sich eine Mehrheit Kohl aussucht und die für sie exotischen Früchte linksliegen läßt, mag enttäuschend sein, ist aber letztlich nur eine Frage der Zeit, wenn es immer wieder, immer ansprechender angeboten wird. Das Thema 'Umwelt' z.B. galt vor 10 Jahren noch als sehr exotisch, hysterisch und jenseits von Gut und Böse.
Ob der unengagierte Rest sich nicht doch bewegen läßt, und sei es nur aus eigener Einsicht ...?
Ulrich Karger
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